Der Heiligenberg mit seinen beiden auffälligen Gipfeln erhebt sich über dem Austritt des Neckars in die Rheinebene, er gehört zum Gebirge des Odenwaldes, ist von diesem aber weitgehend getrennt bis auf den nordöstlichen Sattel zum Zollstock. Ansonsten verfügt er über verhältnismäßig steile Flanken und bot damit zu allen Zeiten mehrere Vorteile:
- Von hier ließen sich wichtige Militär- und Handelswege zu Wasser und zu Lande kontrollieren, und zwar sowohl in Nord-Süd- als auch in Ost-West-Richtung
- Wer auf den bis ins 19. Jahrhundert stets baumfreien Gipfeln siedelte, hatte einen Weitblick nach Norden bis Worms, nach Westen bis zum Pfälzer Wald, nach Südwesten bis Speyer, nach Süden bis zum Nordschwarzwald und ins Neckartal hinein bis Schlierbach. Ebenso wurden größere Bauten auf dem Gipfel von weither in der Ebene gesehen und dienten auch als Orientierungspunkt.
- Durch seine relativ steile Form ließ er sich gut gegen Angriffe verteidigen.
- Der Buntsandstein, aus dem große Teile bestehen, lässt sich gut abbauen und als Baumaterial verwenden.
- Das im Buntsandstein eingeschlossene Brauneisenerz trägt zu einem messbar erhöhten Magnetismus bei, der von sensiblen Menschen als angenehm wahrgenommen wird und sicher zu der Jahrtausende währenden Nutzung als Heiliger Ort beigetragen hat.
- Dabei ist die Armut an höher gelegenen Quellen der Wermutstropfen, nur der Bitterbrunnen bietet in größerer Höhe regelmäßig Wasser, sonst allenfalls (bis vor einige Jahre) noch der nicht weit entfernte Zollstockbrunnen.
Seinen Namen erhielt der Berg erst im Spätmittelalter, als das Michaelskloster im 13. Jahrhundert von Mönchen des Prämonstratenserklosters Allerheiligen im Schwarzwald besiedelt wurde. Der Berg hieß fortan „mons omnium sanctorum“ oder „Allerheiligenberg“, von dem sich die heutige Kurzform ableitet. Im Früh- und Hochmittelalter trug er den Namen „Aberinesberg“ oder auch „Aberinesburg“, der von den Mönchen in Texten auch zu „Abrahamsberg“ fromm verballhornt wurde.
Jungsteinzeit bis zur Urnenfelderzeit
Die ältesten Funde datieren aus der frühen Jungsteinzeit um 5000 v. Chr. Es sind Gefäßscherben der Bandkeramik, die noch keine Rückschlüsse auf eine Besiedlung zulassen. Gefäßscherben der Rössener Kultur, Silexartefakte und Pfeilspitzen aus dem gesamten Bereich des späteren inneren Keltenwalls lassen eher auf eine Besiedlung im mittleren Neolithikum schließen. Dagegen finden sich nur wenige Funde aus der Bronzezeit, allerdings lassen reiche Funde aus der Spätphase der Urnenfelderkultur um 1000 v. Chr. auf eine intensive Besiedlung schließen.
Kelten
Zwischen 700 und 200/150 v. Chr. lässt sich eine mehr oder weniger intensive keltische Siedlungstätigkeit archäologisch nachweisen. Diese beginnt, wohl ausgehend von der nördlichen Bergkuppe, mit einer keltischen Höhenbefestigung und einem „Fürstensitz“ nebst zahlreichen Wohnplätzen und endet möglicherweise mit einem spätkeltischen „oppidum“ ca. 200 Jahre vor der Zeitenwende.
Sichtbare Befunde im Gelände, einige – leider – wenige Grabungen und vor allem Zufallsfunde ergeben eine vages Bild von der keltischen Präsenz auf dem Heiligenberg.
1860 erkannte man in zwei konzentrisch um die beiden Bergkuppen verlaufenden Wällen eine keltische Befestigung mit einer inneren (2,1 km lang) und einer äußeren (3,1 km lang) Ringmauer (siehe Karte). Später konnten in diesem Bereich rund 400 Wohnpodien, das sind in den Hang terrassierte Hüttenplätze, nachgewiesen werden. Damit ist die befestigte Siedlung eine der größten keltischen Anlagen in Baden-Württemberg. Die Wälle sind der zusammengefallene Überrest einer gewaltigen Holz- Steine- Erde- Konstruktion, einer typisch keltischen „Pfostenschlitzmauer“. Das bestätigte eine Lehrgrabung im Sommer 2019.
(Am Donnersberg wurde eine Stück keltische Pfostenschlitzmauer rekonstruiert:)
In der äußeren Keltenmauer befand sich im Nordosten ein Tor, das so ausgesehen haben könnte:
Die Funde auf dem Berg belegen eine befestigte keltische Siedlung auf und um die nördliche Kuppe, wohl in direkter Nachfolge der dortigen urnenfelderzeitlichen Siedlung.
Auf der künstlich erweiterten Bergkuppe könnte sich ein Höhenheiligtum befunden haben – eine lange Verehrungstradition an dieser Stelle spricht dafür. Der archäologische Nachweis eines Fürstensitzes mit entsprechender Wohnbebauung nach Süden hin ist durch den Bau der „Thingstätte“ zur NS-Zeit unmöglich gemacht worden. Auf der südlichen Kuppe, am Rande der Siedlung, befindet sich ein 56 m tiefer Schacht im anstehenden Buntsandstein, das „Heidenloch“. Römische und mittelalterliche Ausbauspuren weisen auf den – vergeblichen – Versuch hin, hier einen Brunnen oder eine Wasserzisterne zu bauen. Die Lage des Ortes auf dem Gipfel und die Geologie sprechen gegen eine solche Anlage. Eher sprechen viele Indizien für die Existenz eines keltischen Opferschachtes, wie er auch andernorts gefunden wurde, wenn auch nicht von der imposanten Tiefe des „Heidenlochs“.
2021 wurde von einer Arbeitsgruppe des Referats „Zentrale Dienste und Denkmalforschung“ im Landesamt für Denkmalpflege in Zusammenarbeit mit dem Kurpfälzischen Museum mit Hilfe der 3-D-Fotogrammetrie ein 3-D-Modell des Heidenlochs erstellt. Darüber berichtet ein Video des Kurpfälzischen Museums. Allerdings vertritt die Schutzgemeinschaft aus geologischen, archäologischen sowie historischen Gründen nach wie vor die Meinung, dass es sich beim Heidenloch nicht um einen mittelalterlichen Brunnenschacht handeln kann.
Ende des 19. Jhs. entdeckte man im Stadtteil Bergheim, unweit des Neckars, den lebensgroßen Kopf einer Sandsteinstatue. Er zeigt, wie man heute weiß, einen keltischen „Fürsten“ mit der typischen Blattkrone und stammt wohl von seinem (noch) unbekannten Grabhügel.
Ähnliche Funde am Glauberg in Hessen deuten auf kulturelle und wirtschaftliche Verbindungen zwischen den beiden Fürstensitzen um 370 v. Chr. hin.
Die Keltenfestung auf dem Heiligenberg kontrollierte immerhin die Handelswege im Tal und auf dem Neckar mit Verbindung zur Donau, lebte somit von Handel und Handwerk. Der Fund zweier Eisenbarren deutet darauf hin.
Zur Zeit der „keltischen Wanderung“ (ab 400 v. Chr.) schwindet die Bedeutung der Höhenbefestigung als Machtzentrum am unteren Neckar, die Bevölkerung dünnt aus. Dennoch wird innerhalb der Ringwälle gesiedelt, wie Funde belegen. Möglicherweise gab es sogar um 200 v. Chr. auf dem Berg eine spätkeltische Stadt, ein „oppidum“, was aber (noch) nicht durch Funde belegt ist.
Spätestens aber um 100 v. Chr. verlieren sich die keltischen Spuren, die verbliebene keltische Bevölkerung verschmilzt mit den germanischen Einwanderern, den Neckarsueben. Es bleiben die Ringwälle und die Erinnerung an das keltische Höhenheiligtum auf der Nordkuppe. Davon zeugen im Hauptschiff der Michaelsbasilika die Überreste eines römischen Tempels, geweiht einem mit keltischen (Visucius) und germanischen (Cimbrianus = Wotan) Göttern verschmolzenen Merkur.
Römer
In der Zeit von Kaiser Vespasian (69-79 n.Chr.) wurden auf dem rechten Rheinufer im sog. Dekumatenland in Germania Superior eine Reihe von Kastellen angelegt, um dieses Gebiet bis hin zum östlich verlaufenden Limes zu schützen. Hauptort in unserer Gegend war LOPODVNVM (Ladenburg), wo um diese Zeit ein zweites Castrum angelegt und bald darauf mit der Anlage einer Stadt sowie dem Bau eines großen Forums begonnen wurde. In Heidelberg-Neuenheim wurde ein Castrum angelegt sowie eine Neckarbrücke gebaut, später folgte ein zweites Kastell sowie um das Jahr 200 eine Neckarbrücke auf Steinpfeilern.
Grund war die Anlage einer Militärstraße östlich des Rheines von MOGONTIACVM (Mainz) über LOPODUNUM bis nach AQVAE (Baden-Baden) und ARGENTORATE (Straßburg), mit einer anderen Abzweigung auch nach AVGVSTA VENDILICORVM (Augsburg). Neben dem Militärlager in Neuenheim und Bergheim entstanden kleine zivile Siedlungen, in denen vor allem Handwerksbetriebe mit Ziegel- und Keramikproduktion vorherrschend waren. Ein ausgedehntes Gräberfeld wurde nachgewiesen.
Auf dem Heiligenberg wurde in der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts ein heiliger Bezirk angelegt.
Zentrum und wichtigstes Gebäude war ein Merkurtempel. Seine Umrisse sind im Mitteschiff der Michaelsbasilika mit dunklen Steinen angedeutet. Ein genordeter rechteckiger Saalbau mit einer Apsis war außen mit einem roten Fugenstrich bunt bemalt, innen mit bemaltem Putz, rotem Porphyr sowie weißem Marmor verkleidet.
Durch Weiheinschriften in Stein und Votivtäfelchen wissen wir, dass hier ein MERCVRIVS CIMBRIANUS bzw. MERCVRIVS VISVCIVS verehrt wurde, d.h., dass hier im Sinne der Interpretatio Romana der römische Gott mit einem germanischen bzw. keltischen gleichsetzt wurde.
Ebenso wurden Reste von zwei Jupitergigantensäulen gefunden sowie Hinweise auf weitere Heiligtümer und kleinere Gebäude.
Die römische Anwesenheit endete mit den Einfällen der Alamannen ab 260, als das rechtsrheinische Gebiet weitgehend aufgegeben werden musste.
Franken
Aus der Zeit der Völkerwanderung gibt wenige Funde, die belegen, dass der heilige Berg nach wie vor begangen wurde, das Heiligtum wird nach der Römerzeit wohl eher geplündert worden sein. Nach der Christianisierung der Alamannen im 5. Jahrhundert, die in unserer Gegend vorherrschend waren, kam es zu einer Umwidmung des noch erhaltenen Merkurtempels auf dem Heiligenberg in eine christliche Kirche, die wohl von Anfang an dem Erzengel Michael geweiht war. Wenn auch der Gott der Händler und Taschendiebe und der biblische Drachentöter wenig gemeinsam zu haben scheinen, so gibt es doch auch erstaunliche Übereinstimmungen. Der Gott Hermes/Merkur ist wie Michael ein gefiederter Götterbote, dazu nennen ihn die Griechen auch den „Psychpombós“, den Begleiter der verstorbenen Seelen über den Styx in den Hades. Und auch Michael gilt als Seelenbegleiter nach dem Tode. Wenn wir dazu zur Kenntnis nehmen, dass auf dem Heiligberg Gräber aus allen Zeiten seit 3000 Jahren – außer der Römerzeit, dafür besonders intensiv in der merowingisch-fränkischen Phase, – nachgewiesen wurden, so passt diese Gemeinsamkeit der beiden Bergpatrone gut zu dem Ort.
In der Frankenzeit entstand auf dem Heiligenberg – wohl im Zusammenhang mit dem fränkischen Königshof in Ladenburg – eine Königsburg, einige Gebäude aus dieser Zeit sind archäologisch nachgewiesen, darunter ein mächtiger Turm mit massivem Mauerwerk – eine Art Bergfried, wie es auf späteren Burgen gab, oder ein Wohnturm – im Bereich der späteren Klausur. Wohl wurden auch Reste der alten Keltenmauern zur Sicherung der Anlage benutzt, denn an zwei Stellen wurden mörtelgemauerte Kammertore entdeckt, wie sie aus der karolingischen Zeit andernorts bekannt sind. Am westlichsten Rand des Paradieses sind noch Befestigungsmauern aus der Zeit der Königsburg zu sehen.
Auf dieser jetzt Aberinesberg oder -burg genannten Festung wurde in der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts neben der militärischen Besatzung eine Dependance des fränkischen Reichklosters Lorsch eingerichtet. Lorsch hatte rund um den Heiligenberg viele Besitztümer, und so war es nur konsequent, dass es mit einigen Mönchen vor Ort sein wollte, um besser seine Güter und Einkommen zu verwalten. (Fast alle Dörfer rund um Heidelberg, heute meist Vororte, haben ihre erste urkundliche Erwähnung im 8. Jahrhundert, gesammelt und festgehalten im Lorscher Codex im 12. Jahrhundert.) Und der Lorscher Abt Thiotroch ließ auf den Berg um 870 eine neue Michaelskirche errichten (jetzt ist das Patrozinium urkundlich gesichert), die Teile der römischen Mauern in den Bau mit einbezogen.
So kam es zu einem Nebeneinander von königlicher und klösterlicher Präsenz auf dem Berg. Dann wurde 882 von König Ludwig III. die Aberinesburg dem Kloster Lorsch geschenkt.
Benediktiner/ Prämonstratenser
Wir können weiterhin davon ausgehen, dass es keine Klosterbauten im Sinne einer Klausur gegeben hat, sondern die Mönche bewohnten wohl die auf der Burg vorhandenen Bauten. Da die Filiale von Lorsch auf dem Heiligenberg aber mit der Schenkung auch die zugehörigen Besitztümer bekam, war nun viel Geld da, und so wurde die Michaelskirche im 9. und 10. Jahrhundert viele Male umgebaut, am Ende (um das Jahr 1000) stand eine dreischiffige Basilika mit Querhaus und drei Chorapsiden.
St Michael im 10. Jh. (Rekonstruktion v.Moers-Messmer 1987)
1023 erteilte Kaiser Heinrich II. dem Lorscher Abt Reginbald, dem späteren Bauherrn und Bischof des Speyerer Domes, die Erlaubnis, auf dem Heiligenberg ein reguläres Kloster zu errichten. Die bisherige Kirche wurde bis auf den Chor und die Ostkrypta niedergelegt und mit größeren Maßen wieder als dreischiffige Basilika neu gebaut. Sie wurde laut Lorscher Chronik prächtig ausgestattet, noch heute demonstriert der Luxus der zwei (!) großzügigen Treppentürme, dass hier offensichtlich nicht geringe Mittel zur Verfügung standen. Um das mächtige Westwerk mit seinen zwei Türmen statisch auf dem nach Westen abschüssigen Grund zu sichern, wurde eine Westkrypta als Basis eingebaut.
Im Westen wurde ein Paradies oder Atrium genannter Vorhof errichtet, der allerdings in den nächsten Jahrhunderten vielfach umgebaut und vornehmlich als Friedhof des Klosters genutzt wurde. Nicht neben, wie bei den meisten Klöstern, sondern wegen der Geländestruktur im Osten der Kirche wurde die Klausur, der Lebens- und Arbeitsbereich der Mönche, errichtet. Es waren dies Benediktiner, weiterhin blieb das Michaelskloster ein Filialkloster von Lorsch, so wurde es auch nicht von einem Abt, sondern von einem Propst geleitet. Auf Merians Darstellung (Abb. s. weiter unten) aus dem 16. Jahrhundert ist ein Vierungsturm zu sehen, der vielleicht erst später hinzukam und kein Glockenturm war, dieser stand wohl neben der nördlichen Chorapside, auch das erst seit dem 15. Jahrhundert.
Im Jahre 1069 wurde im Kloster der ehemalige Abt Friedrich von Hirsau aufgenommen. Nach der Überlieferung war er ein besonders frommer Kleriker, der durch eine Intrige im dortigen Kloster vom Herrn des Klosters, dem Grafen von Calw, von seinem Amt abberufen wurde. Um ihm die Schmach zu ersparen, unter diesen Umständen weiter in Hirsau leben zu müssen, vermittelte der Lorscher Abt Uldarich ihm eine Art Alterssitz im Michaelskloster. Allerdings verstarb er schon im Jahr 1070, in den Dörfern der Umgebung wegen seiner Mildtätigkeit geliebt. So ranken sich auch Legenden von Licht- und Engelserscheinungen um seinen Tod, und bis heute ist Friedrich von Hirsau ein in der Diözese Speyer verehrter Heiliger, obwohl von der Kirche als solcher nie kanonisiert. Mit großer Sicherheit fand er seine letzte Ruhestätte in dem in den Felsen eingetieften Grab in der Mitte der Ostkrypta, das zu einem Wallfahrtsziel wurde, besonders am 8. Mai. Auch heute findet man oft einen Blumenstrauß auf der Grabplatte, die neu angefertigte wurde, da in 19. Jahrhundert das Grab zerstört wurde.
Um 1090 baute der Benediktinermönch Arnold auf dem vorderen Gipfel eine Klause sowie ein Oratorium (kleine Kapelle). Etwa 4 Jahre später wurde an dieser Stelle mit Förderung des Lorscher Abtes Anshelm ein weiteres kleineres Filialkloster gegründet, dessen Reste heute als Ruine zusehen sind. Es wurde dem heiligen Stephan, später zudem noch dem heiligen Laurentius geweiht.
Ein Handschuhsheimer Ritter namens Rifrid war nicht nur ein Zeuge der Stiftungsurkunde des Klosters, er hat wahrscheinlich auch einen Teil seines Vermögens dem Kloster vermacht. 1932 wurde ein Grabstein gefunden, dessen lateinische Inschrift besagt, dass die Frau oder Witwe des Rifrid hier (im Kloster) begraben zu werden wünscht und ihm ihr Vermögen vermacht mit der Bedingung, dass die Mönche ihr Gedenken zu ihrer Seligkeit bewahren. Als Datum des Todes ist der 23. Dezember ohne Jahreszahl angegeben. Eine Kopie des Grabsteines, dessen Original sich im Kurpfälzischen Museum befindet, ist heute im Westteil der Stephanskirche zu sehen. (Dieser Grabstein ist das älteste nachantike schriftliche Zeugnis, das auf Heidelberger Boden gefunden wurde.) Aus Angaben der Lorscher Chronik kann man annehmen, dass Rifrid mit dem ersten Kreuzzug 1096 ins Heilige Land zog und wahrscheinlich nicht zurückkehrte.
Ebenso in St. Stephan wurde 1101 der Abt Anshelm begraben, an dessen Todestag, dem 25. Juni, eine Prozession von Handschuhsheim zum Kloster zog. Vom Prozessionsweg hat sich der Name erhalten, verballhornt zur „Amselgasse“. Sein Grab konnte nicht gefunden werden.
Im 13. Jahrhundert verlor Lorsch seine beherrschende Stellung, auf Betreiben des Mainzer Erzbischofs wurde seine Immunität aufgehoben, die Benediktiner mussten Lorsch verlassen und wurden 1245 durch Prämonstratenser Chorherren aus dem Schwarzwälder Kloster Allerheiligen ersetzt, die einige Zeit später auch die Filiale St. Michael übernahmen. Der Heiligenberg, der nun seinen heutigen Namen erhielt („Allerheiligenberg“), gehörte fortan zum unter Mainzer Aufsicht stehenden Amt Schauenburg.
Das änderte sich erst 1460 durch den Sieg des Kurfüsten Friedrich des Siegreichen bei Pfeddersheim in der Mainzer Stiftsfehde, wodurch das Amt Schauenburg und damit der Heiligenberg in die Verfügungsgewalt der Kurpfalz geriet.
Unter den Prämonstratensern gab es einige Umbauten in Kirche und Kloster. So wurden frühgotische Fenster in die Apsiden eingefügt, ein Teil des Kreuzganges wurde später mit gotischen Maßwerkfenstern ausgestattet, außer dem Calefactorium wurde jetzt auch andere Räume mit Heizmöglichkeiten ausgestattet, so wurde Kacheln eines luxuriösen Ofens entdeckt. Das Koster wurde unter den Prämonstratensern wohl auch mehr und mehr zu einem Wallfahrtszentrum.
Außer den zwei genannten Prozessionen auf den Heiligenberg sind noch zwei andere überliefert. Eine „Rolloss“ genannte Flurprozession, an die auch ein Wegname in Handschuhsheim erinnert, am Montag der 6. Woche vor Ostern ging wohl auf alte heidnische Fruchtbarkeitsriten zurück, und es ist anzunehmen, dass es bei diesen Gelegenheiten recht derb zuging, so dass die Heidelberger Universität im Jahr 1423 ihren Angehörigen bei Strafe verbot, weiter daran teilzunehmen. Seit der Prämonstratenserzeit gab es eine Prozession am Vorabend von Allerheiligen, also am 31. Oktober, an der auch der Kurfürst teilzunehmen pflegte und mit der ein Jahrmarkt auf dem Gelände nördlich des Klosters verbunden war.
Im 15. Jahrhundert scheint ein Niedergang der Klöster auf dem Heiligenberg einzusetzen, auch die Zahl der Mönche wurde viel kleiner. Als laut einer Meldung an den Kurfürsten 1503 der Glockenturm, der bei einem vorangegangenen Erdbeben im Jahr 1474 beschädigt worden war, in einer Nacht einstürzte, traf er die Schlafkammer und erschlug 3 Mönche. 1537 erfahren wir von dem Heidelberger Humanisten Micyllus, dass er auf dem hinteren Berggipfel bereits eine Ruine vorfand. Bis Mitte des 16. Jahrhunderts scheint das Stephanskloster noch von einigen bzw. einem Mönch („Bruder Moritz“) bewohnt gewesen zu sein.
Ruinenzeit
„Du grüner Berg, der du mit zweyen Spitzen
Parnasso gleichst, du hoher Fels, bey dir
wünsch ich in Ruh zu bleiben für und für…“
So beschreibt der Barockdichter Martin Opitz, um 1620 Student in Heidelberg, in einem Sonett den Heiligenberg und vergleicht ihn mit dem Musenberg Parnass.
Der Berg fasziniert inzwischen mehr durch seine Natur und außergewöhnliche Gestalt, die lange Geschichte der Besiedelung und Verehrung höherer Mächte gerät immer mehr in Vergessenheit. Zwar ist auf einem Stich von Matthias Merian von 1645 das Kloster St. Michael noch als imposante Ruine zu sehen, hat also seit der Ersterwähnung als Ruine (1537) schon über einhundert Jahre dem gänzlichen Verfall getrotzt, obschon der Universität Heidelberg als Steinbruch übereignet. Doch Raubgräberei und exzessiver Steinraub, bedingt durch den Wiederaufbau der kriegszerstörten Dörfer am Fuß des Berges nach den pfälzisch-französischen Erbfolgekrieg (ab 1689), lassen von den beiden Klöstern bald nur noch Grundmauern übrig, allmählich überwachsen.
Es bleibt eine geheimnisvolle Erinnerung an „heidnische“ und mittelalterliche Altertümer, die den Romantiker Victor Hugo bei seiner Deutschlandreise 1840 zu einem nächtlichen Besuch des Berges bewegt.
Für die Geschichte des Berges beginnt man sich erst ab 1860 zu interessieren, als Julius Näher die Ringwälle entdeckt und – zunächst – für „germanisch“ erklärt. Das neue erwachte Interesse an der Vorgeschichte hat natürlich etwas mit der sich entwickelnden Einigung und Nationwerdung Deutschlands zu tun. So finden nun ab 1886 (Wilhelm Schleuning) bis in die 1930er Jahre (Carl Koch) Ausgrabungen an den Klöstern und den Ringwällen statt.
Die Stadt Heidelberg, seit 1903 durch die Eingemeindung des Dorfes Handschuhsheim Eigentümerin des Heiligenberges, zeigt zu der Zeit ein großes Interesse an den Forschungen. Zwischen 1910 und 1920 begeht der Maler Heinrich Hoffmann immer wieder den Berg, fertig akribische Zeichnungen der Ruinen und rekonstruiert mit dem Zeichenstift den – möglichen – historischen Zustand, heute eine wertvolle Bildquelle.
Der Bau des Aussichtsturmes (1885) mitten in die Ruinen des Klosters St. Stephan, noch dazu mit dessen Steinen, kann heute nur bedauert werden. Noch schlimmer kommt es aber mit dem Bau der „Thingstätte“, 1934/35 durch den Reichsarbeitsdienst mitten in die keltische Siedlungsfläche gesetzt, eine nicht wieder gut zu machende Zerstörung historischer Schichten. Der für 15.000 Besucher angelegte Nachbau eines antiken Theaters, von der germanophilen Thingbewegung für deutsch-nationale Propagandazwecke gedacht, passt aber schon 1937 nicht mehr ins Konzept der Nationalsozialisten, er wird erst in „Feierstätte“ umbenannt – und wird dann nutzlos!
Es ist der Archäologe Berndmark Heukemes, der ab 1950 wieder auf die historische Bedeutung des Berges verweist, 1973 zum Erhalt der Denkmale die „Schutzgemeinschaft Heiligenberg“ gründet und eine Kette von Sondierungen und Instandsetzungen auslöst: Über dem Heidenloch entsteht eine Schutzhütte, die Ruinen der Klöster St. Stephan (Bert Burger 1996) und St. Michael (Peter Marzolff ab 1980) werden restauriert und teilrekonstruiert, so die beiden Westtürme und die Westkrypta.
Anlass für gründliche Instandsetzungen und archäologische Forschungen in St. Michael war der fortschreitende Verfall der Ruinen der beiden Westtürme. Berndmark Heukemes schlug als Heidelberger Archäologe und vor allem als Vorstand der Schutzgemeinschaft Heiligenberg Alarm. Es gelang ihm, die Stadt Heidelberg, die Universität und das Land Baden-Württemberg in ein Boot zu holen und zwei Millionen DM bereitzustellen, so dass man zwischen 1978 und 1984 die gesamte Ruine des St. Michaels-Klosters restaurieren und teilweise auch archäologisch untersuchen konnte. Unter Leitung von Architekt Bert Burger wurden die Stümpfe der beiden Westtürme saniert und begehbar gemacht und die Westkrypta – bis dahin ein mit Schutt gefülltes Loch – in Annäherung an den Zustand von 1200 wieder eingewölbt. Im Klausurtrakt wurden Mauerzüge im historisch richtigen Sinne ergänzt und die Fehlrekonstruktionen durch den Arbeitsdienst in den 30er Jahren beseitigt.
Die von Peter Marzolff – Institut für Ur- und Frühgeschichte der Uni Heidelberg – durchgeführten Grabungen in ausgewählten Teilen der Anlage ergaben überraschende neue Erkenntnisse: Unter dem Fußboden des Mittelschiffes konnten die Grundmauern eines mit der Apsis nach Norden gerichteten römischen Merkurtempels freigelegt werden. Damit wurde die bislang nur vermutete Existenz eines römischen Gipfelheiligtums archäologisch bestätigt. Heute sind die Grundrisse des Tempels durch Pflastersteine in der Klosterkirche markiert. Das Drängen der Schutzgemeinschaft, sich ernsthaft um die Erhaltung der Ruinen zu kümmern, war somit von Erfolg gekrönt. Da die nun gesicherten Ruinen auch weiterhin regelmäßig gepflegt und ausgebessert werden müssen, bezuschusst die Schutzgemeinschaft, ganz im Sinne ihres Zweckes, die anfallenden Arbeiten.
So hat sie auch zusammen mit dem Kurpfälzischen Museum Heidelberg, dem Arbeitskreis für Archäologie in Baden und dem Landesdenkmalamt eine kleinflächige Lehrgrabung (Schöneweiß 2019) finanziert. Diese Grabung hat die Konstruktion der inneren Ringmauer als keltische Pfostenschlitzmauer belegt, aber auch das Verlangen nach einer ausgedehnteren Grabung geweckt. Denn viele Fragen zur keltischen Geschichte des Berges sind noch offen.
Seit 1996 verbindet übrigens der „Keltenpfad“ mit seinen Schautafeln die historischen Stätten. Wanderer und Besucher finden auf dem Sattel zwischen den beiden Bergkuppen – nahe des großen Parkplatzes – erholsame Einkehr in der seit 1929 bestehenden Gaststätte „Waldschenke“.
Der Heiligenberg als „Heiliger Ort“
Eines der besonderen Merkmale des Heiligenberges ist, dass wir dort eine Kontinuität eines Bergheiligtums mindestens seit der keltischen Besiedelung bis zum Ende der Klosterzeit – wenn auch mit kurzen Unterbrechungen – annehmen können. Davon ausgehend ist die Frage zu prüfen, ob es ein besonderes religiöses Thema war, das die Heiligtümer der verschiedenen Kulturepochen miteinander verbunden hat, ein inhaltliches Kontinuum also.
Der archäologisch älteste Nachweis für ein Heiligtum auf dem Heiligenberg ist durch die Reste der keltischen Besiedlung zwischen dem 5. und 3. vorchristlichen Jahrhundert gegeben. Nachdem der in Bergheim gefundene Keltenkopf analog der Monumentalfigur am Glauberg als Teil einer Grabfigur eines keltischen „Fürsten“ gedeutet werden konnte, konnte darauf geschlossen werden, dass es auf dem hinteren Gipfel des Heiligenberges im 5. Jahrhundert einen „Fürstensitz“ gegeben hatte. Dass zu einem Fürstensitz auch ein wie auch immer gestaltetes Heiligtum gehörte, ist sicher. Immerhin gibt es auf dem Heiligenberg dafür auch 2 archäologische Hinweise:
- Als bei den Ausgrabungen der 1980er Jahre das Areal des römischen Merkurtempels freigelegt wurde, stießen die Archäologen auf eine ca. 80 cm tiefe vorgeschichtliche Grube mit Knochen- und anderen Resten, die sich im Mittelpunkt des Tempels – also unter der Götterstatue des Mercurius – (und der späteren Basilika) befand. Dies könnte ein Hinweis auf das angenommene keltische Heiligtum auf dem Gipfel sein, das von den Römern anscheinend sorgsam in ihr Heiligtum übernommen wurde, was darauf schließen lässt, dass es von der Bevölkerung um den Heiligenberg auch nach der Aufgabe der keltischen Besiedlung auf dem Berg weiter genutzt wurde.
- Wenn auch nach wie vor ungeklärt ist, wer wann aus welchen Gründen das Heidenloch angelegt hat, gibt es doch gute Gründe anzunehmen, dass es die Kelten waren, zumal nur sie die „manpower“ für ein so großes Projekt hatten und sich diese Grube am äußersten Südwestrand des Bezirkes der inneren Ringmauer befand. Da aber aus geologischen Gründen (Wasseradern im Berg sowie Beschaffenheit des Bundsandsteins) eine Brunnen- oder Zisternenanlage unwahrscheinlich ist – diesbezügliche Versuche z.B. der Römer, das Heidenloch als solche zu nutzen, blieben ohne Erfolg – , bleibt nur die Interpretation als Opfergrube. Wenn das so war, war es sinnvoll, sie wegen etwaigen Verwesungsgeruches der geopferten Tiere an den Rand der Siedlung zu legen. Opfergruben sind in verschiedenen keltischen heiligen Bezirken („Nemeton“) in Südwestdeutschland gefunden worden, allerdings nicht tiefer als 35 m. Sie stellten in der religiösen Vorstellung der Kelten einen Ort dar, der dem Übergang vom Leben in eine andere („Unter-„)Welt symbolisierte und offenbar einer keltischen Erdgottheit gewidmet war, so Dirk Krauße, Landesarchäologe Baden-Württembergs in einem ZDF-Film über keltische Funde nahe der Heuneburg.
In römischer Zeit wurde hier neben anderen römischen Göttern in erster Linie Merkur verehrt, dessen Tempel der Mittelpunkt des heiligen Bezirkes der Römer war. Merkur war unter den Kelten besonders beliebt, wie auch schon von Caesar in Buch 6 seines De Bello Gallico erwähnt. Er wurde oft mit dem keltischen Gott Teutates identifiziert, allerdings gibt es ein Votivtäfelchen am Heiligenberg, das Mercurius mit dem relativ unbekannten keltischen linksrheinischen Gott Visucius gleichsetzt. Daneben gibt es noch die Nennung Merkurs als „Mercurius Cimbrianus“, also als germanischer Gott, der hier vor allem mit Odin (bzw. Wotan) gleichgesetzt wurde. Wie wir wissen, ermöglichte das die „interpretatio romana“, die die Gleichsetzung des römischen Götterolymp mit den jeweiligen Provinzgöttern als integrative Religionspolitik förderte.
Nach dem Ende der römischen und alamannischen Anwesenheit wird in merowingisch/fränkischer Zeit der heidnische Tempel christianisiert und, wie wir annehmen können, dem Erzengel Michael geweiht (das Patrozinium des Michael ist erst ab 890 gesichert). Nun folgt eben der Erzengel Michael gerne an vergleichbaren Plätzen auf den römischen Gott Merkur.
Und tatsächlich verbindet die Beiden einiges. Merkur kennen wir meist als Gott der Händler und Diebe. Aber er ist auch ein geflügelter Götterbote, und die Griechen bezeichneten ihren Hermes als „Psychpombós“, d.h. als Seelenbegleiter, der die Verstorbenen zum Fluss Styx geleitet, nach dessen Überquerung sie in den Hades, die Unterwelt gelangen.
Ebenso hat Michael, auch ein geflügelter Gottesbote, der Archangelos, die Eigenschaft eines Seelenbegleiters, dazu ist er der Seelenwäger beim jüngsten Gericht.
Erwähnt werden sollte auch, dass in der Michaelbasilika des 10. Jahrhunderts ein Reliquienschrein oder -grab sich in der Mitte des Mittelschiffes befand, also gerade an der Stelle, wo sich die vorrömische Opfergrube sowie das Götterbild Merkurs befunden hatte. Und im Anschluss an diese Grube war schon im 5./6. Jahrhundert ein Zentralgrab angelegt worden, um das andere Gräber gruppiert wurden. Die hier Bestatteten wurden wohl von den Lorscher Mönchen als frühe Glaubenszeugen verehrt.
Darüber hinaus gilt, dass der Heiligenberg zu verschiedenen Zeiten von der Urnenfelder Zeit bis zum Ende der Klosterzeit ein beliebter Bestattungsplatz war. Nicht ein Friedhof, aber wer es sich aus verschiedenen Gründen leisten konnte, ließ sich hier „oben“ an diesem heiligen Ort zwischen Himmel und Erde mit der großen Weitsicht gerne zur letzten Ruhe betten. Das gilt wohl nicht für die Kelten- und die Römerzeit, aber umso mehr für die merowingisch/fränkische Zeit, auch die Mönche des späteren Klosters fanden hier ihre letzte Ruhestätte. Und es sind immer wieder auch Laien, Männer, Frauen und Kinder, die auch während der Klosterzeit hier begraben werden.
Und damit ergibt sich mindestens durch die 2 Jahrtausende von der keltischen Besiedlung bis zum Ende der Klosterzeit ein durchgehendes Thema des Heiligtums auf dem Heiligenberg: Hier war ein guter Platz für den Übergang vom diesseitigen Leben in ein wie auch immer vorgestelltes Jenseits, begleitet von einer Gottheit bzw. einem Erzengel. Hier war der Platz zwischen Himmel und Erde, ein heiliger Ort, an dem man über die kleinen Sorgen des Alltags hinausdachte und sich mit dem schwierigen Thema einer postmortalen Existenz konfrontierte. Dass schon zur Urnenfelderzeit hier oben begraben wird, lässt Spekulationen auf eine vielleicht noch ältere Tradition der Beschäftigung mit dem Jenseits auf dem Berg zu.
Eigentlich passt dazu auch ganz gut der lokale Heilige des Berges. Friedrich von Hirsau kommt auf dem Heiligenberg, so könnte man überspitzt sagen, um hier zu sterben, denn lange währt das ihm gewährte Asyl zum Schutz vor dem „Mobbing“ in seinem Hirsauer Kloster nicht, wo er wegen der sicher falschen Anschuldigung eines Ehebruchs angeklagt und als Abt abgesetzt wurde. Er lebt hier nicht mehr lange, und die erzählten wunderbaren Umstände seines Sterbens machen ihn zum verehrten Heiligen der Region und zum Ziel von Wallfahrten ins Kloster und in die Ostkrypta. Und diese enthält mehr als eine Reliquie, sie enthält das in den Felsen eingelassene Grab Friederichs. Ein Grab als Ziel der Wallfahrt, wie passend zur Geschichte des Berges!